Man muss sonst weit fahren, um das Fiebrige, Flackernde und Freudianische dieser nervösen Musik mit solcher expressionistischen Energie, solcher blühenden und glühenden Emphase zu erleben. Am Theater Lübeck entfacht der scheidende GMD Roman Brogli-Sacher jetzt mit Philharmonikern ein Richard-Strauss-Feuer, wie es eigentlich nur an den ersten Opernhäusern der Republik brennt. Diese ›Elektra‹ ist ein Ereignis, durch das sich Brogli-Sachers zwölfjährige Amtszeit zur Ära rundet. In der von Hofmannsthal und Strauss im Lichte der Psychoanalyse neu gelesenen Atridentragödie übernimmt das Orchester gleichsam die Rolle des allwissenden griechischen Chores. Die Lübecker leuchten alle Schichten des Unterbewussten mit unerhörter Tiefenschärfe aus. Schizophren gackern die Holzbläser, alptraumtrunken gebärdet sich das Blech, melancholisch singen die Streicher. Dabei gefährdet die grandiose Orchesterleistung nie die Sänger mit Weltklasse.
Roman Brogli-Sacher schafft es, seinen großen Orchesterapparat nicht nur in Sachen Lautstärke mit den Sängern in Korrelation zu setzen. Er begleitet ausgezeichnet, und es gelingt ihm, mit seinen groß aufspielenden Musikern ein transparentes Klangbild zu erzeugen, in dem Strukturen hörbar werden. Nicht immer hört man so präzise, wie eng die »Elektra« mit »Salome« und dem »Rosenkavalier« in Verbindung steht.
GMD Roman Brogli-Sacher und sein den Abend über hart arbeitendes Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck bereiteten allen Beteiligten eine wunderbare Basis: niemals zu laut und dennoch laut genug, um in den richtigen Momenten für ekstatische Stimmung zu sorgen, dabei stets die attraktiven und vielschichtigen Melodien einzelner Instrumentengruppen ausarbeitend. Das Publikum durfte in einem wahren spätromantischen Strauss-Klang baden.
Entscheidenden Anteil am Erfolg hat das instrumentale Fundament. GMD Roman Brogli-Sacher beherrscht den schillernden Strauss-Expressionismus mit seinen harschen Klangballungen und melodischen Inseln, Lübecks Philharmoniker folgten in der bejubelten Premiere mit hoher Präzision (Blechbläser!). Auch hielt Brogli-Sacher das große Orchester in der Lautstärke immer wieder zurück, was die Sänger mit ihren herausragenden Leistungen dankten.
Roman Brogli-Sacher konnte mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck die gute musikalische Tradition des »Echo«-gekrönten »Ringes« nahtlos fortsetzen und dirigierte einen »Parsifal« von beeindruckender Klarheit, Prägnanz im Ausdruck und guter Dynamik. Die Tempi stimmen stets und waren bedacht auf die jeweilige Handlung abgestimmt, wobei Brogli-Sacher nie die SängerInnen zudeckte, sondern gefühlvoll auf sie einging. Natürlich kommt in einem relativ kleinen Haus das schwere Blech stärker zur Wirkung als an einem großen. Dies machte sich aber nie negativ bemerkbar und wurde ohnehin immer wieder von den wunderbaren Celli, aber auch den Violinen und Bratschen relativiert. Bei aller Plastizität des musikalischen Vortrags wurden die Philharmoniker unter Brogli-Sachers Stabführung nicht zu laut und musizierten fast fehlerfrei. Wieder ein fesselnder Wagner-Abend im deutschen Norden, der den Anspruch Lübecks, in der ersten Liga der Wagner aufführenden Opernhäuser zu spielen, untermauerte.
Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher wurde vom Lübecker Publikum gefeiert, als hätte er nicht nur Orchester, Ensemble und Chor nach stellenweise eher ängstlichem Anfang zu Großem auf sehr kleinem Raum angespornt. Sondern in dem seit Langem schwelenden Streit um die Zukunftssicherung des Hauses, das trotz aller Sparzwänge erfolgreich ist, auch noch einen Kieler Kulturpolitiker-Drachen erlegt, der wie Wagners Fafner nur liegen und besitzen möchte.
... Roman Brogli-Sacher am Pult der, bei aller Opulenz stets artikuliert spielenden Philharmoniker befeuert die klare Sichtweise mit transparentem Klang und trägt so auch zum besseren Verständnis der oft disparat erscheinenden Partitur bei.
Für die beiden hier zur Diskussion stehenden Aufführungen darf man die Reihenfolge mit gutem Gewissen einmal umdrehen: Prima la Musica! Lübecks Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher animiert seine sechsundsechzig Musiker zu einer beachtlichen Leistung: Der Klang des Orchesters besitzt Farbe, Transparenz, Fülle, es wird geschmeidig und elastisch musiziert. Kniffelige Passagen bringen die Musiker nicht aus der gebotenen Akkuratesse. Die Sänger dürfen sich bestens aufgehoben fühlen.
Das Lübecker Philharmonische Orchester, das erst vor einigen Wochen »Parsifal« (OW 11/2012) seine Klangqualitäten in Sachen Wagner bewiesen hatte, zeigte sich auch der Mammut-Partitur von Richard Strauss in allen Bereichen voll gewachsen. Aufs Feinste ausmodelliert die instrumentalen Schönheiten, herrlich gesteigert die aufblühenden Crescendi, von lapidarer Kraft die brutalen Tutti-Schläge - im zwölften (und letzten) Jahr seines Lübecker Wirkens kann GMD Roman Brogli-Sacher sein Orchester als einen vielseitigen Klangkörper zurücklassen, mit dem er während seiner Amtszeit eine beachtliche Qualität und eine hohe Spielkultur erarbeitet hat. Auch hat Lübeck in diesen Jahren immer wieder auf sich aufmerksam gemacht durch einen anspruchsvollen, interessanten Spielplan mit zahlreichen Raritäten, der zuletzt gekrönt wurde von dem überregional vielfach wahrgenommenen, auf DVD dokumentierten »Ring«. Eine musikalisch segensreiche Ära.
Roman Brogli-Sacher führt das bestens aufgestellte Philharmonische Orchester der Hansestadt mit zwingender Präzision durch die Partitur, bringt es zuweilen regelrecht zum Höhenflug. Kein Detail geht verloren, die Sänger werden zu keinem Zeitpunkt durch die Klangwucht der großen Besetzung übertönt.